Tag 6

 

Eine Geburtstagsfahrt. Ach ja, wie schön, das muss schon drin sein, und da muss es schon etwas besonderes sein. Dachte ich mir. Habe ich einmal erwähnt, dass mich letztes Jahr am meisten die Fahrt über den Gaviapass beeindruckt hat? Drum wollte ich da unbedingt noch einmal hin, wär doch was für den Festtag. Es hätte zwei Möglichkeiten für die Rundreise gegeben; entweder gleich über den Gavia nach Bormio und auf der anderen Seite über das Stilfser Joch zurück, oder eben umgekehrt. Ich dachte mir, den Stelvio muss ich eigentlich nicht runter fahren, reicht schon, wenn ich da irgendwie raufkomm. Belohnt wird die ganze Mühe ja mit der wunderbaren Abfahrt und dem schönen Weg den Bergrücken entlang. Außerdem, oben herum kommt man nur über die mühsame Bundesstraße SS38. Und die hat schon beim ersten Mal keinen Spaß gemacht zu fahren. Erstens geht es durch zig Ortschaften, unsäglich vielen Geschwindigkeitsbegrenzungen, gefühlte Millionen von Autos, die einfach nicht weitertun… Nein, sowas reicht schon am Anfang einer Tour, das braucht man nicht als Heimfahrt.
Alles schön und gut, ich machte mich auf über den Mendelpass über’s Gampenjoch nach Meran und dann auf die besagte Bundesstraße um zum Stilfser Joch zu kommen. Es dauerte wohl schon ungefähr 3 Stunden bis ich das Stück geschafft hatte. So, und da stand jetzt tatsächlich am Fuße des Berges „Passo dello Stelvio nach Bormio gesperrt“. Was. Gibt’s doch nicht. Aber nachdem ich nicht mehr, was auf dem Schild stand, verstand fuhr ich einfach weiter. Ok, rauf zur Passhöhe kam ich. Aber mittendrin dachte ich die ganze Zeit, „na net, wenn es drüben nicht weitergeht… soll ich da jetzt wirklich rauffahren… und dann muss ich das alles wieder runter…“ und während ich darüber grübelte umzudrehen ging es von einer Kehre in die andere, an Autos vorbei und in so manche Radfahrer fast hinein, und in die nächste Kehre. Nr. 27. Weiter gehts. Nr. 18. Naja, eigentlich sind’s jetzt nicht mehr so viele. Wobei der Blick nach vorne auf die Straße im Berghang eigentlich täuschen wollte. So weit noch. Inzwischen faszinierte mich aber immer wieder der Ausblick auf die gegenüberliegende Bergseite. Es ist einfach unglaublich, was für unendliche Weiten diese riesigen Felsen bergen. So unglaublich hoch ihre Gipfel, man glaubt, man könnte hinübergreifen und in Wirklichkeit würde es wahrscheinlich viele Stunden bedürfen um nur annähernd dort hin zu kommen. Mich beeindrucken diese Kolosse immer wieder, vor denen man sich so klein vorkommt, wie unschuldig sie seit tausenden von Jahren mitten in der Landschaft prangen, aber wie rau und mächtig sie doch sind.
In jeder Kehre hielt ich Ausschau, ob ich da nicht irgendwo stehen bleiben könnte für ein paar Fotos. Aber jedes mal war es mir viel zu unsicher, wenn man bedenkt, dass ich mein kleines Schlachtschiff da auch sicher wieder wegbringen müsste. Nein, das kam mir beinahe gefährlicher vor als einfach irgendwie durch die Kurven zu wackeln. Oder der Platz war ohnehin schon von Autos besetzt.
Und so schlängelten sich die Kehren dahin, ich kletterte regelrecht den Berg hinauf, schlug mich tapfer mit meinem einspurigen Panzer, bis ich endlich oben war. Und wie immer tummelen sich dort hunderte Leute und Fahrzeuge, da frag ich mich jedesmal, woher die plötzlich alle kommen. Weil so voll war die Straße auch wieder nicht.

Dieses Foto gab es letztes Jahr schon, was? Aber diesmal bei viel besserem Wetter!


So, hier habe ich mir eine Mittagspause verdient ehe es wieder weiter geht. Zur Feier des Tages ein für dort typisches Bratwürstl mit Sauerkraut und währenddessen immer wieder beobachtet oder hingehorcht, ob irgendwer etwas über die angebliche Sperre sagt. Von der anderen Seite kamen allerdings ständig Fahrzeuge rauf, also irgendwas hat’s da!
Nachdem ich ordentlich geruht hatte packte ich mich also wieder gut ein, aufsitzen, los. Das schau ich mir jetzt selbst an. Talabwärts ging es mit Schwung durch die Kurven, herrlich, wenn die Straße fast leer ist und man überall hin sieht. Aber nach 2km war Schluss. Da war tatsächlich der Schranken runter, und ich wusste auch, woher die vielen Fahrzeuge kamen. Hier war ja die Anschlussstelle an den Umbrailpass der in die Schweiz hinüber führt. Ach Mist! Und ich habe mich so sehr auf den Gavia gefreut! Hätte ich das gleich gewusst hätte ich mir ehrlich den Stelvio gern erspart, und vor allem den Weg dort hin. Weil nur wegen dem wäre ich eigentlich nicht hingefahren.
Landkarte raus, kurz überlegt. Soll ich in die Schweiz runterfahren, mit Umweg über Münster und Schluderns wieder zurück? Aber mein Pass liegt ja im Zimmer in Auer. Ohne dem werden sie mich bestimmt nicht in die Schweiz lassen. Zweite und einzige Möglichkeit: alles wieder zurück wie ich gekommen bin. Na fein. Blieb mir aber nichts anderes übrig, und so fuhr ich wieder hinauf zur Passhöhe um dann die unzähligen 49 Kehren wieder hinunter zu gurken. Übrigens hatte ich am Abend nachgelesen, es gab einen Murenabgang über die Passstraße, daher also die Sperre.
Mit der Zeit wurde es aber immer besser, ich denke, schön langsam hab ich die VFR im Griff. Meistens zumindest. Mir tut zwar nach wie vor der Nacken weh und der Sitz könnte auch ein bisschen bequemer sein, aber ansonsten läuft alles viel besser als noch vor einer Woche. Kein Wunder aber auch, wenn man nichts anderes als Kurven zu fahren hat. Das ist schon so normal wie spazieren gehen, solange man in Südtirol ist.

Am Fuße angekommen warf ich noch einen Blick auf die Karte, ob sich irgendetwas lohnen würde. Es war ja erst kurz nach Mittag und ich hatte noch genug Zeit um mir eine schöne Strecke als Entschädigung zu suchen. Aber da ist natürlich nicht wirklich was. Daher erneut auf die SS38, wieder zum Gampenjoch, das doch recht schön zu fahren ist und zu guter letzt über den Mendelpass. Der wurde tatsächlich zu meiner Hausstrecke da er eine direkte Abfahrt nach Kaltern hat. Dann wollte ich eigentlich noch irgendwo einen Kaffee trinken, aber erstens war nie was passendes dabei und zweitens war es doch schon recht spät. Außerdem sollte ich noch packen, denn am nächsten Tag steht die Abreise aus Südtirol bevor.